Warum es uns gibt
Wir feiern unser 30 jähriges Jubiläum. Ein Blick zurück von Carmen Urrutia, Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Pankower Früchtchen
Die Pankower Früchtchen würde es nicht geben, wenn nicht irgendjemand immer gesagt hätte: Das geht nicht, das funktioniert nicht, das kann man nicht machen. Aber bekanntlich lässt sich eine Idee, deren Zeit gekommen ist, nicht aufhalten. Jemand muss nur diese Idee aufnehmen, sich auf den Weg machen, der manchmal noch gar nicht da ist, denn: geht nicht – gibt‘s nicht.
Durch die Maueröffnung in den 1990er Jahren wurde aus dem verschlafenen Wilhelmsruh eine Durchgangsstraße, die Menschen kamen ohne Lebensgefahr nicht mehr über den Damm und die Bürgersteige wurde zu Parkplätzen. Die Wilhelmsruher organisierten sich, erkämpften gemeinsam eine Ampel, eine Tombola, die die Vielfalt des Ortes reflektierte, veranstalteten 15 Jahre lang ein legendäres rauschendes Sommerfest auf den Straßen des Ortes, Nachbarn kamen dadurch zusammen und aus Nachbarn, ob Alteingesesse oder Neuankömmlinge, wurden Freunde.
Die 1990er Jahre brachten den Wilhelmsruhern viel Hoffnung, aber auch Unsicherheit im Umgang mit den nun geltenden und dann alten zerbröckelnden Strukturen. Eines wollten wir dabei auf keinen Fall: als hochausgebildete Frauen nun nur noch für die Kinderbetreuung, den Transport des Nachwuchses von einem Verein zum anderen verantwortlich sein. Der sich nun gründende Elternförderverein der Schule organisierte sich mit der Kita zusammen, denn man wollte gemeinsam etwas im Ort erreichen. Die Kita war schon im Gründungsprozess, darum schloss man sich an und so kam es zu dem Namen: Pankower Früchtchen.
Mit Hilfe von Pro Kultur und damals hochkarätigen Künstlern, die plötzlich arbeitslos waren, gründeten wir in den verlassenen kalten Kellerräumen der roten Schule unsere Nachmittagsangebote und nannten sie „Kunst im Keller“.
Diese legten den Grundstein für den weiteren Weg der Erkenntnis. Es gab einen Bedarf und die Aufgabe war interessant. Ganzheitliche Kinderbetreuung .Wir brauchten Verlässlichkeit, dies ging nur mit einer verlässlichen Finanzierung in der Nachmittagsbetreuung. Wir gründeten den ersten Hort in freier Trägerschaft an einer Schule in Berlin. Ohne Unterstützung wäre das nicht gegangen. Die Stadträtin Frau Keil von den Linken, Herr Köppen als Schulamtsdirektor und Herr Lubawinski von der SPD fochten mit uns gemeinsam diese Idee „ Macht die Tore auf-lasst das Leben rein!“ durch, die heute Standard in der Kinderbetreuung in Berlin ist, freie Träger an Schulen. Der damalige Staatssekretär Thomas Härtel gab uns dann vom Senat die entscheidende Sondergenehmigung wegen Unterversorgung im Einzugsgebiet.
Um neue Wege zu gehen, bedarf es oft einer Risikobereitschaft, einer unerschütterlichen Überzeugung, dass es besser geht als es ist und der Idee, wie man es machen kann. Man braucht kürzere Wege der Entscheidung und Konzentration der Verantwortung. Aus dem Verein wurde wenig später eine gGmbH. Petra Bellmann, Katrin Kreutz und Katrin Krüger kamen aus dem öffentlichen Dienst ( was damals wirklich mutig war), um gemeinsam mit mir und Petra Mairena dieses Pilotprojekt zu starten oder besser, um die Möglichkeit zu nutzen, es besser zu machen, auch auf die Gefahr hin vielleicht zu scheitern. Von Petra Bellmann als Leiterin habe ich viel gelernt . Ohne diese 4 tollen Frauen, deren Lebenslust und deren Familien hätten wir es nicht geschafft. Bald zeigte sich, wie gut die Idee angenommen wurde, die Eltern stürmten uns, manche zogen wegen der guten Betreuung auch extra nach Wilhelmsruh, bald kamen ein Hort in Französisch Buchholz und Weißensee dazu. Aber irgendwann kamen wir mit unserem Anspruch auch an unsere Grenzen.
Die Verantwortlichkeit von Nachmittagsbetreuung und Schule lag damals noch bei verschiedenen Senatoren: Soziales und Bildung. Das änderte sich. Aber der alte Geist steckte noch tief in Strukturen und Köpfen. Angetreten, um staatliche Schule besser zu machen, sind wir in dieser Partnerschaft gescheitert. Wir mussten unsere eigene Plattform schaffen. Petra Bellmann und Silvia Sebastian hatten den Mut, die Zivilcourage und einiges an Wissen. Unterricht und Nachmittag gemeinsam. 2007 haben wir die SchuleEins gegründet, die heute eine Gemeinschaftsschule von der 1.-13. Klasse ist. Damit verloren wir auch Freunde, weil deren Meinung nach Bildung staatlich sein muss. Richtig! Aber was tun, wenn der Staat es nicht tut?
Es gab immer wieder neue Herausforderungen den Bildungsweg der uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen zu bereichern: 2004 Hort in Weißensee, 2005 Hort in Französisch Buchholz, 2006 Villa Frida, 2007 Mehrgenerationenhaus und SchuleEins, 2013 KitaEins.
Konsequent haben wir unsere Idee der Bereicherung des Schulalltages verfolgt und ausgebaut. Der Lebens- und Lernweg reicht von der Kita über die Schule bis zum Mehrgenerationenhaus. Jeder soll seinen individuellen Lernweg finden und dabei wollen wir helfen und gestalten. Auch hier hätten wir es ohne die vielen Unterstützer, wie Dr. Torsten Kühne beim Schulbau oder auch der kürzlich verstorbenen Nils Kirchner, der uns für den Parkplatz bebauen liess, nicht geschafft.
Die Gesellschaft ist in einem rasanten Wandel, dem stellen wir uns. Gemeinsam im Team bündeln wir unsere Kräfte, übernehmen Verantwortung und suchen Lösungswege. Dieses lernen die Kinder und Jugendlichen in unseren Einrichtungen. Durch Forschen, Wissen, Mitgestalten erfahren sie Lern- und Lebensfreude, werden so zu wertvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft und werden die Zukunft gestalten, weil sie es gelernt haben.
Aus oder mit den Pankower Früchtchen ist in jetzt 30 Jahren ein Bildungscampus Eins in verschiedenen Facetten geworden, so bunt und so reich, wie das Leben selbst. Das ging nur dank der Unterstützung von vielen auch hier nicht Genannten, die da waren, wenn man sie brauchte, ob in der Verwaltung, Politik, in der Nachbarschaft, in der Zivilgesellschaft oder als Freunde, die auch daran geglaubt haben, dass man neue Wege gehen muss und man Steine aus dem Weg räumen kann. Dafür möchte ich Dank sagen.
Zum Geburtstag kann man sich etwas wünschen und ich wünsche mir, dass die staatliche Bildung uns nicht als Feind sieht. Wir sind der Feind vom Stillstand, diejenigen, die für ihre Idee leben und deren Verantwortungsnahme auch persönlich ein wenig über das Normalmaß hinausgeht. Diese Freiheit, dies zu tun, ist in der Verfassung im Artikel 7 mit Recht verankert. Das wollen wir leben.